Ordnungsamt trifft auf Wanderzirkus

Peter Seidel gehört nicht zu den Männern, die auf einer Internet-Singlebörse mit eindeutig-zweideutigen Selbstporträts um die Gunst möglichst zahlreicher Kandidatinnen werben. Glücklicherweise, denn nur so erhält der Bindungswillige vor inzwischen mehr als vier Jahren eine Antwort seiner Auserwählten: „Auf meinem Profil stand, dass ich Männern, auf deren Profil Landschaftsbilder oder Selfies im Badezimmer sind, nicht beantworte“, erzählt Braut Nina. „Peter schrieb: „Schau doch bitte auf mein Profil, dort ist weder das eine oder andere“ und so habe geantwortet.“ Peter nickt und lacht fröhlich: „Habe ich schon mal angeguckt.“ Das war´s, mehr kam nicht und sie hat mir wirklich gut gefallen. Ich musste ein wenig kämpfen, aber unterm Strich hat bei uns das Internet funktioniert.“

Es dauert eine Weile, bis sich die beiden im realen Leben annähern. Schließlich legt Peter tatkräftig Hand an – nein, nicht an ihr. Ganz Gentleman versucht er sich als Reparateur an ihrem Drahtesel. Mit mittelmäßigem Erfolg, wie er grinsend zugibt. Daher spielt der gebürtige Schwabe seine höchste Trumpfkarte in Sachen Balz für Fortgeschrittene: „Peter hat mir Käsespätzle gemacht, die besten der Welt“, schwärmt die 40-Jährige. Ein glücklicher Magen kurbelt bekanntermaßen die Liebe an! Nach und nach raufen sich die beiden zusammen: „Wir sind nicht gleich, sogar ziemlich verschieden, blicken aber in dieselbe Richtung“, stellt Nina fest. Und die heißt irgendwann: ein gemeinsames Dach über den Köpfen. In und um München gleicht das an sich einfache Ansinnen einer schier unüberwindbaren Herausforderung, daher packt Peters „Lieblingsmensch“ Nina ihre Koffer und zieht aus Oberschleißheim nach Reisen in die Junggesellenbude ihres „Lieblingsmenschen“ Peter. Für beide eine bequeme Lösung: „Wir arbeiten am Flughafen, fühlen uns rundum wohl und haben eine tolle Nachbarschaft“, fasst das Paar übereinstimmend zusammen.

Im September 2021 steht ein kurzer Urlaub in die Stadt der Liebe an. Venedig + Rialtobrücke = Mehr romantische Kulisse geht wohl kaum, wenn es um die Verlobung geht. Peter bereitet alles vor, Nina ist ahnungslos, entsprechend groß ist die Aufregung. Unter Einfluss der Maximalkonzentration des Glückshormons Dopamin entsteht bei den Verliebten eine bis in die Gegenwart andauernde Amnesie. „Beide wissen nicht mehr genau, ob er überhaupt gefragt hat oder ihr gleich den Ring an den Finger gesteckt hat“, weiß Standesbeamtin Gerlinde Rott aus dem Vorgespräch. „Viel wichtiger ist, dass die Braut „ja“ gesagt hat.“ Fünf Monate später, am 22.02.2022 wagen Nina Timm und Peter Seidel den Schritt, um den weiteren Lebensweg als Eheleute zu beschreiten: „Den 22.02.2022 haben wir uns ausgesucht, weil es etwas Besonderes ist und sich so schön schreiben lässt“, erzählt Nina.

„Das ist wirklich eine schöne Zahl, die sich die beiden ganz bewusst gewählt haben“, stimmt Gerlinde Rott überein. Für die Standesbeamtin sei es „definitiv ein besonderes Datum“: „Auch weil es eine der letzten Trauungen hier in Oberding ist. Ursprünglich sollten heute die letzten zwei stattfinden, aber es sind noch ein paar dazugekommen. Natürlich kommt ein wenig Wehmut, ich habe das immer aus Überzeugung gemacht.“ Besonders gefalle ihr, wenn sich die Paare im Vorfeld beschreiben und sie das in ihrer kurzen Rede einfließen lassen könne: „So wie Nina und Peter. Sie sprachen davon, den jeweiligen Lieblingsmenschen gefunden zu haben. Es ist einfach schön, wenn zwei unabhängig voneinander, das Gleiche übereinander sagen. Bei den beiden hängt ein Schild: Ordnungsamt (Nina) trifft Wanderzirkus (Peter). Sie ist eher genau und er ein Krümelmonster“, berichtet Gerlinde Rott.

Für Nina ist Peter der liebenswürdigste Mensch der Welt: „Manchmal bin ich ein wenig schräg, Peter kann damit sehr gut umgehen und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück, das brauche ich.“ Vor allem aber unterstütze Peter alle Träume, die sie habe und lasse sie „ihr Ding“ machen. „Wir unternehmen viel gemeinsam, aber jeder hat auch sein Eigenes, das macht uns wirklich aus. Wir engen uns nicht ein oder verbieten dem anderes etwas. Wir wissen immer, dass wir uns gegenseitig haben und halten uns den Rücken frei.“ Peter nickt zustimmend: „Es gibt ein ganz großes Wir, aber eben auch noch ein großes Ich.“ Bestes Beispiel sei Ninas Fotografie. Wenn der Haushalt deswegen liegenbleibt, springt Peter ein: „Er sorgt dafür, dass ich alles hinbekomme und beglückwünscht mich trotzdem, wie erfolgreich ich sei“, meint die Braut schmunzelnd. Dafür bewundert der Bräutigam den Mut seiner Liebsten: „Auf unserer ersten Motorradreise war Nina unglaublich tapfer.“ Vor allem schätzt der 44-Jährige die offene Art seiner Frau: „Sie trägt das Herz auf der Zunge und sagt ehrlich, was sie denkt. Ich weiß einfach, woran ich bin. Wir ergänzen uns und sie macht in manchen Punkten einen besseren Menschen aus mir.“ Seit Weihnachten sind sie zu dritt: Leo der Stubentiger wohnt bei den (jetzt) Seidels: „Wir können streiten, bis die Fetzen fliegen, zusammen Blödsinn machen und lachen, bis uns die Tränen kommen“, schließt Nina. Peter pflichtet ihr bei und fügt schelmisch hinzu: „Und die Wahrscheinlichkeit, den Hochzeitstag 22.02.2022 zu vergessen, ist gering. Ich will es nicht ganz ausschließen, aber es geht doch gegen null.“